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3 Langlebige Solidarität

gestern

In der Verfassung von 1980 hatten die Militärs für 1989 ein Referendum festgesetzt, dessen Ergebnis zu ihrer Verwunderung eine Mehrheit für das Ende der Diktatur brachte. Hintergrund war allerdings auch, dass die USA und Verbündete, wie z.B. die BRD, den Militärs nach und nach ihre Unterstützung entzogen. Dieses Plakat verweist auf die Langlebigkeit der Solidarität, die noch nach dem Ende der Diktatur Interesse an der Zukunft Chiles zum Ausdruck bringt. Ein neues Thema betritt die Arena der öffentlichen Debatte: die indigene Bevölkerung Chiles, die Mapuche, die bis heute gegen die Abholzung des Waldes durch ausländische Konzerne kämpfen und einer extremen Repression als „Terroristen“ ausgesetzt sind.

heute

Erst mit den 90er Jahren treten die Mapuche, die

Indigenen Südamerikas, als eigenständiger Akteur kraftvoll ins Rampenlicht. Ihre Interessen, auch wenn es ein für damalige Zeiten fortschrittliches Programm der Unidad Popular gab, bleiben bis heute im Kern unberücksichtigt. Entscheidend ist für sie die Landfrage, damit verbunden die Nutzung des Waldes und des Bodens für ihre Comunidades, ihre Gemeinschaften im Süden Chiles. Es tobt ein gewaltiger Krieg um diese Ressourcen. Die organisierten Mapuche stellen sich der Rodung des Waldes durch internatio

Foto: B. Imholz

nale Forstkonzerne entgegen, werden zu Terroristen erklärt und einer extrem politisierten Rechtsprechung unterworfen, mit lebenslänglichen Haftstrafen usw. Die Aufnahme ihrer Interessen und zukunftsweisenden Anliegen war ein wesentlicher Bestandteil des Verfassungsentwurfes. Die prozentual hohe Ablehnung des Verfassungsentwurfes unter den Mapuche verweist darauf, dass sie sich vom politischen System grundsätzlich nicht vertreten sehen.

4 Cien horas – Hundert Stunden fasten

gestern

  – Hundert Stunden fasten für unsere verhafteten verschwundenen Genossen – diese Arbeiter und Mitarbeiter im Gesundheitswesen: wo sind sie? – Wir fordern Gerechtigkeit. Nein zu Straflosigkeit. – Ich bin sicher, dass mein Opfer nicht vergeblich sein wird. – Ich bin sicher, dass es eine moralische Lektion sein wird, die Verbrechen, die Feigheit bestrafen wird.

Die Suche nach den tausenden von Verhafteten Verschwundenen, die in den Folterzentren der DINA verschwanden und nie wieder auftauchten, war ein zentraler Punkt sowohl im chilenischen Widerstand als auch entsprechend in hiesigen Solidaritätskampagnen. Federführend war die Agrupación por los detenidos desaparecidos, Die Vereinigung der Verhafteten-Verschwundenen (AFDD).

heute

Der Verhafteten Verschwundenen und der Exekutierten

Foto: B. Imholz

der Diktatur wird bis heute gedacht. Man trägt ihre Fotos, man nennt ihre Namen. Das Bewusstsein darüber, dass es keine Zukunft ohne Erinnerung geben kann, findet überall seinen Ausdruck. Das Verbrechen besteht in der Straflosigkeit, denn die Morde bleiben ungesühnt. Ohne Sühne keine Versöhnung. Dieses Anliegen setzt sich heute fort, indem die Ermordungen der Protestierenden durch die Polizei vom Aufstand 2019 nicht strafrechtlich verfolgt werden, genauso wenig, wie die Anwendung der

Foto: Sebastian Silva

Gummigeschosse gezielt auf Augen gerichtet.


An vielen Orten erinnert man daher an die Toten und Verletzten bis heute. Das Schicksal von tausenden Verhafteten Verschwundenen aus der Zeit der Diktatur ist bis heute nicht aufgeklärt, nur wenige Militärs wurden für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. In der Widerstandskultur und auf Demonstrationen anlässlich des Jahrestages des Putsches am 11.9.1973 wird ihrer gedacht mit dem Satz „Donde estan“- wo sind sie oder „nunca mas“ -nie wieder. Der Kampf gegen die Straflosigkeit ist nach wie vor präsent.

2 Chile Kulturabend chilenischer Flüchtlinge Nürtingen

gestern

 

Musikalische Veranstaltungen, Konzerte mit beliebten Gruppen des Nueva cancíon, des neuen chilenischen Liedes, wurden zum Markenzeichen dieser Bewegung. Im Chile der 50er Jahre spielte Literatur und Musik eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der gesellschaftlichen Politisierung bis in die entferntesten Winkel des Landes. KünstlerInnen wie Violeta Parra – die Mutter von Isabel und Angel Parra – und Victor Jara schufen das “nueva canción“ – das neue Lied, der kommunistische Dichter und Politiker Pablo Neruda war überall bekannt. Inti-Illimani und Quilapayun befanden sich gerade auf Auslandstournee, als der Putsch kam, und tourten danach als Botschafter der Protest- und Solidaritätsbewegung durch die Welt.

heute

Bis heute werden die Lieder des nueva canción gespielt und sind überall als Teil einer Wider-standskultur verbreitet. Die bekannten Gruppen von damals füllen die Stadien. Der künstlerische Ausdruck sozialer und politischer Proteste zeigt sich auch in den Studierendenbewegungen durch Graffities, pasteups, Skulpturen, Wandmalerei, so wie es die chilenische Linke schon immer gemacht hat. Musik und Bilder öffnen die Herzen der Menschen. Als während der Ausgangssperre

Foto: B. Imholz

wegen Corona jegliche Versammlung unmöglich war, spielte das Sympho-nie Orchester in Santiago vor geöffneten Fenstern , so dass man ihr Lied auf der Plaza de la Dignidad weithin hören könnte: El derecho de vivir en paz, ein Lied von Victor Jara, der 1973 im Stadion von Santiago ermordet worden war. Das Lied wurde zur Hymne des Aufstands und ging um die Welt, ebenso wie die Performance der Feministinnen „Lastesis“ aus Valparaiso, „El Violador en tu camino“, der Vergewaltiger auf deinem Weg. Der perro matapacos, der Hund, der Bullen tötet, war schon zum Maskottchen während der Studierendenproteste 2011 geworden. Es handelte sich um einen Straßenhund, der sich furchtlos gegen die

„Apruebo“ Valparaíso 2022. Foto: Fresia Saldias

Wasserwerfer mit Tränengas stellte. Er wurde vielfach nachgebildet im Estallido 2019 und wurde zum Symbol der Bewegung. Auch andere populäre Figuren wie Tía Pikachú fanden ihren Weg in die Proteste und wurde zu Lieblingen der Straße.

 

1 Chile-Der Kampf geht weiter

gestern

Nach 1973 gab es große Hoffnungen vor allem bei der revolutionären Linken, die Militärdiktatur rasch vertreiben zu können. Man sammelte Geld für den Widerstand der linken Parteien und Organisationen.

 

 

heute

Foto: M. Ramminger

Jeder Protest hat eine Vorgeschichte. Als 2011 die Studie-rendenproteste begannen, setzten sie sich furchtlos der Polizeirepression entgegen. Viele von ihnen hatten eine Geschichte aus ihrer Familie mit im Gepäck, als politische Gefangene geächtete Familie oder gar Verschwundene, Oma, Opa, Tante, Onkel zu betrauern, die bis heute im Gedächtnis sind. Der Widerstand der Student*innen und der Pinguine, so genannt wegen ihrer Schuluniformen, riss alte Wunden wieder auf.

Die Vergangenheit lebt weiter. Ihr Fokus richtete

Natalia Espinas

sich auf das extrem unsoziale Bildungssystem, das neoliberal seit der Pinochetverfassung privatisiert wurde. Es gibt zwar staatliche Schulen, die keine Gebühren kosten, aber mit deren Abschlüssen schafft man nicht die Aufnahmeprüfungen für die guten Universitäten, die wiederum nicht so hohe Gebühren verlangen. Private Schule nehmen Schulgeld, ab etwa 200,-€ pro Monat aufwärts.
Die Anführer*innen der Studierendenbewegung 2011 sind wieder da, als politische Führungskader in den aufploppenden Protesten der Frauen am 8. März und nach dem Aufstand im Oktober 2019.
Als die Metropreise um 0,30 Cents angehoben werden, platzt

Foto Alex Utreras:

den Schüler*innen der Kragen, das Fass kommt zum Überlaufen. Metrostationen werden gestürmt, und es beginnt eine Zeit der riesigen Manifestationen auf der Straße gegen das neoliberale Wirtschaftssystem und die herrschende Klasse.
Die gestürmte Metrostation „Baquedano“, ein zentraler Platz und Verkehrsknotenpunkt in Santiago, wird zum Treffpunkt des Widerstands. Von dort gehen die großen Kundgebungen und Protestmärsche los, so wie es schon während der Unidad Popular der Fall gewesen ist. Der Platz wird umbenannt in „Plaza de la Dignidad“, Platz der Würde“.